Principal Investigator: Univ.-Prof. Dr. Walter Pohl
Zwischen 400 und 1200
n. Chr. entstanden neue
grundlegende Identifikationskonzepte
in Europa. Zum einen
nahmen starke religiöse
Identitäten Form an und
dominierten weite Gebiete, in denen
sich christliche Gemeinden
entwickelten. Zum anderen
wurden neue Königreiche mit
ethnischen Bezeichnungen
gebildet, und das römische Reich
wich einer pluralistischen
politischen Landschaft. Die
meisten ethnischen
Bezeichnungen für mittelalterliche und
moderne Staaten gehen tatsächlich auf jene Zeit
zurück. Durch beide Prozesse wurden,
nicht zuletzt durch ihre Interaktion, neue Formen
des sozialen Zusammenhalts, aber auch neue Arten
von Konflikten hervorgerufen, deren
Bedeutung für die europäische Geschichte
bisher noch nicht ergründet wurde.
Universalreligion und ethnische / nationale
Sonderinteressen gelten seit jeher
als entgegengesetzte
Prinzipien. Dies trifft jedoch nur in einem
begrenzten Ausmaß zu; das Projekt
soll daher systematisch
die Wechselwirkung religiöser und ethnischer
Identitäten, sowohl als Diskursformen
als auch als soziale Praxis untersuchen.
Durch die Auseinandersetzung mit dem frühen Mittelalter
befasst sich das Projekt mit einem
Zeitraum, der in den Debatten
über Ethnizität und das
Entstehen der Nation bisher
vernachlässigt wurde. Mittels
einer langfristigen Perspektive wird versucht,
Ethnizität und Religion in einen
historischen Rahmen zu setzen. Dies soll
durch ein zweigleisiges Vorgehen erreicht werden: sorgfältige Quellenstudien
in Kombination mit methodologischen Reflexionen, um
moderne Projektionen
zu vermeiden; und durch Vergleiche
mit Gebieten außerhalb des
Projektrahmens, zum Beispiel
der frühen islamischen Welt. Ziel
ist nicht so sehr die Untersuchung
bestimmter ethnischer Prozesse,
sondern der kulturellen und sozialen
Matrix, die diese Prozesse ermöglichte und prägte.
Das Projekt konzentriert sich besonders auf den Einfluss der
Bibel auf neue Diskurse über
Identität und Ethnizität, und die Stärkung des
ethnischen und politischen
Zusammenhalts durch die Bildung christlicher Gemeinden. Wichtige
politische, affektive Genetic History & Medieval Studiesund kognitive
Quellen für die politische Rolle von
Ethnizität in der europäischen
Geschichte entstanden in der
Spätantike und im frühen und
hohen Mittelalter, 400-1200
n.Chr. Diese eröffnen
ein Potenzial, das in den
verschiedenen Phasen in der Geschichte Europas,
nicht zuletzt in der Entwicklung
der modernen Nation, genutzt werden konnte.
Themen
des Projekts
- 1. Ethnic and Christian discourse in the early Middle Ages
Mehrere Studien beschäftigen sich mit einem neuen,
von der Bibel inspirierten Diskurs über Identität und Ethnizität (5. bis 9.
Jahrhundert). The Bible as ’repertory of identification′ befasst sich
u.a. mit spätantiken exegetischen Texten, meist Kommentaren zum Alten Testament,
und ihrer Rezeption bis zur Karolingerzeit. Christian communities and their
media erforscht weitere christliche Genres (Hagiographie, Predigten, Briefe)
als weit verbreitete Disseminationsmedien für neu entstehende
Identitätsentwürfe. Semantics and narratives of ethnicity untersucht
frühmittelalterliche Terminologie für Ethnizität sowohl in lateinischer als auch
in griechischer Sprache und in Volkssprachen.
Highlights: Die Datenbank
GENS bietet
eine Auswahl von mehr als 4.200 Passagen (Stand November 2018) aus lateinischen
Werken verschiedener Genres, die in Europa zwischen 400 und 1200 verfasst wurden
und in modernen Editionen erhältlich sind. Alle diese Auszüge bieten Beispiele
für die Verwendung und das Verständnis ethnischer Terminologie oder Ethnonyme.
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- 2. Allegiance and agency — social and political uses of identity in early
medieval Europe
Die Studien zu diesem Thema setzen sich mit ethnischer Identität als
Motivation oder Erklärungsmuster für Handlungen auseinander. Being
Roman after Rome untersucht, was im Frühmittelalter "Römisch" genannt wurde,
zum Beispiel im päpstlichen Rom, in den Alpen oder im Adriaraum. Regional and
ethnic identities in Roman and post-imperial Europe beleuchtet die
langfristige Entwicklung von ethnischen und regionalen Identitäten in den
römischen Provinzen und Grenzgebieten.
Highlights:
Ein Höhepunkt in SCIRE war die Konferenzreihe „Romanness after Rome“, ein
Thema, das auch auf dem International Medieval Congress in Leeds 2013
präsentiert wurde. 2014 veröffentlichten mehrere Mitglieder des Projektteams
Artikel in einer thematischen Ausgabe der Zeitschrift Early Medieval Europe.
2017 erschien der Sammelband „Walchen, Romani und Latini“, 2018 das Buch
„Transformations of Romanness in the Early Middle Ages: Regions and
Identities“. Ein weiterer Band mit überwiegend archäologischen Beiträgen
erscheint 2019. Ausführlichere Informationen zu den entsprechenden
Publikationen finden Sie in den Publikationen und in der Zusammenfassung von
Clemens Gantner
Transformations of Romanness: Early Medieval Regions and Identities
in unserem Blog
über historische Identitäten.
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- 3. Medieval identities as an interdisciplinary field of study
Diese Studien
streben eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Fachrichtungen an.
Genetic history and medieval ethnicity sucht die Förderung der methodischen Diskussion zwischen Genetikern,
Archäologen und Historikern. Social cohesion,
identity and religion from a global perspective
ergänzt eine komparatistische Studie über das lateinische Europa, Byzanz und
die islamische Welt, welche von Spezialforschungsbereich (SFB) VISCOM (ab März
2011) durchgeführt wird.
Identity, material objects
and cultural transfer
konzentriert sich auf eine interdisziplinäre
Zusammenarbeit mit Archäologen, woraus ein gemeinsamer Workshop und eventuell
ein gemeinsamer Sammelband und eine Studie hervorgehen soll. Nations in
retrospect — the modern significance of medieval ethnic and religious identities
beschreibt aktuelle methodische Überlegungen.
Highlights: Ein Thema, mit
dem sich SCIRE auseinandersetze, war das sich schnell entwickelnde Gebiet der
paläogenetischen Studien und ihre oft unzureichende historische
Interpretation, die immer noch ethnische Gruppen oder Nationen und ihre
genetische Ähnlichkeit als selbstverständlich betrachtet. Eine Doktorarbeit
gab einen Überblick über den Stand der Technik, und in mehreren
interdisziplinären Workshops wurden die Auswirkungen der Genforschung auf
Archäologie und Geschichte diskutiert. Walter Pohl war Mitglied einer
interdisziplinären Arbeitsgruppe, die genetische und archäologische Spuren
untersuchte, die mit der langobardischen Migration von Pannonien nach Italien
im Jahr 568 in Zusammenhang stehen könnten. ⇒Genetic
History & Medieval Studies
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→ Christian communities and their media, M. Pollheimer→ Semantics and narratives of ethnicity, C. Grifoni→ Regional and ethnic identities in Roman and post-imperial Europe, K. Winckler→ Regional and ethnic identities in Roman and post-imperial Europe, R. Steinacher→ Identity, material objects and cultural transfer, F. Conselvan→ Columbanus and the Politics of Exile, A. O'Hara→ Die Fredegar-Chronik, A. Fischer→ Die Bibelverwendung in frühmittelalterlicher Historiographie, P. Dörler→ Imperial Carolingian identity in ninth-century Italy, C. Gantner→ Bible Manuscripts as Modes of Perception, M. Tischler→ State, Taxation and Power in in Late Roman West A.D. 300-700, P. Tedesco→ Problem of the Ethnic Identity in Bohemia during the rule of Premyslid, D. Kalhous→ Hunting and elite cohesion, H. Barak→ Chronisten, Kreuzfahrer und die letzten Heiden Europas, S. Donecker
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